Augustinus: Freiheit und Gnade

Augustinus: Freiheit und Gnade
Augustinus: Freiheit und Gnade
 
Augustinus lebte in einer Zeit, in der die westliche antike Kultur sowohl zu einer reifen und zugleich christlichen Gestalt fand wie auch schon den Keim ihres Endes in sich trug; eine neue Epoche, das Mittelalter, begann heraufzuziehen. In seinem Leben, seiner Philosophie und Theologie bündelten sich die unterschiedlichen Kräfte dieses Übergangs; Augustinus repräsentiert in hervorragender Weise die damalige christlich-lateinische Kultur und verhalf ihr zur Sprache, sodass sie in dieser Form zum konstitutiven Erbe der sich bildenden abendländischen Kultur werden konnte; Augustinus und der »Augustinismus« entfalteten ihren prägenden Einfluss auf Theologie, Philosophie, Mentalität und Politik der folgenden Epoche.
 
Nordafrika war zur Zeit des Augustinus die Provinz des Römischen Reiches, in der sich die lateinische Sprache und Lebensart früher als anderwo von der dominierenden hellenistischen Kultur freimachen konnten. Römische Siedler, nordafrikanische Berber und Punier waren nur recht oberflächlich von griechischer Sprache und Philosophie geprägt. Hier, in einem kleinen Städtchen namens Tagaste im heutigen Algerien, wurde Augustinus im Jahr 354 als Sohn einheimischer, ethnisch wohl den Berbern zuzurechnender Eltern geboren. Der Vater, Patricius, war ein städtischer Beamter, der sich erst kurz vor seinem Tod taufen ließ, seine Mutter Monnika war Christin. Nach dem Besuch von Schulen in seiner Heimatstadt und im benachbarten Madaura studierte Augustinus in Karthago Rhetorik, das Studium, das das gesamte Bildungsgut der Zeit vermittelte und den Zugang zu aussichtsreichen staatlichen Laufbahnen eröffnete.
 
Trotz missionarischer Bemühungen seiner Mutter lebte er seit seinem 18. Lebensjahr im Konkubinat mit einer namentlich nicht bekannten Frau und hatte mit ihr einen Sohn, Adeodatus, der in jugendlichem Alter im Jahr 390 starb. Augustinus schloss sich 374 dem Manichäismus an, einer dualistischen Religion, die von Persien aus auch im Westteil des Reiches Fuß fassen konnte und die einem damals weit verbreiteten Daseinsgefühl innerer Zerrissenheit entsprach; sie war überzeugt von einem grundsätzlichen Gegensatz von Gut und Böse, Geist und Materie, der die Wirklichkeit des Kosmos und auch unsere Existenz zutiefst bestimmt.
 
Nach einer kurzen Lehrtätigkeit in seiner Heimatstadt lehrte Augustinus Rhetorik in Karthago, dann in Rom und schließlich - mit großem Erfolg - in Mailand, wo er auch offizieller Rhetor am Kaiserhof wurde. Dort trennte er sich auf Betreiben seiner Mutter von seiner Lebensgefährtin. Er lernte den Neuplatonismus kennen, eine philosophische Richtung, die sich auf Platon berief und - stärker noch als dieser - die Einheit von Gott, Mensch und Welt betonte; er wandte sich, auch beeinflusst von Bischof Ambrosius, dem Christentum zu und ließ sich - mit seinem Sohn und einigen Freunden - im Jahr 387 in Mailand taufen.
 
Nach dem Tod seiner Mutter kehrte er im folgenden Jahr nach Nordafrika zurück. In Tagaste führte er mit Freunden ein klösterliches Leben. Anlässlich eines Besuchs in der Hafenstadt Hippo (heute Annaba in Algerien) wurde er von dem dortigen Bischof und den. Christen gebeten, in ihrer Gemeinde Priester zu werden. 391 ließ er sich zum Priester weihen, 395 wurde er Mitbischof und ein Jahr später schließlich Bischof von Hippo; dies blieb er bis zu seinem Tod im Jahr 430, als die Stadt von Wandalen belagert wurde.
 
Das Leben des Augustinus spiegelt Krisen, wie Menschen sie immer wieder durchlaufen, die aber in ihren konkreten Ausprägungen - ihren schroffen Gegensätzen von Gut und Böse und ihrer leidenschaftlichen Konzentration auf das Thema Sünde und Gnade - für die lateinische Spätantike kennzeichnend waren. In seinen autobiographischen »Bekenntnissen«, den »Confessiones«, schildert er seine Entwicklungen, Kämpfe und die Hinwendung zum Christentum.
 
Neben seinen Verpflichtungen als Bischof fand Augustinus die Zeit, zahlreiche Bücher zu schreiben, denen er seine nachhaltige Wirkung auf das abendländische Christentum und die mittelalterliche Kultur verdankt. Er setzte sich mit dem Manichäismus auseinander, schrieb 20 Jahre lang an einem grundlegenden Buch zur Trinitätslehre und entwarf die Grundlinien eines Sakramentsverständnisses, das im Mittelalter lediglich schulmäßig, »scholastisch«, weiterentwickelt wurde. Er schuf die bis dahin unbekannte Erbsündenlehre, der zufolge alle Menschen durch Adams Sünde vom Heil ausgeschlossen sind; nur durch Jesus Christus und seinen Opfertod am Kreuz sowie durch die Gnade Gottes können die, die Gott dazu bestimmt hat (Prädestination), gerettet beziehungsweise gerechtfertigt werden.
 
Neben diesen Lehren prägte Augustinus auch die Art des mittelalterlichen Denkansatzes: Im Anschluss an platonische Vorstellungen war er davon überzeugt, dass wir die - im letzten geistige - Wirklichkeit nicht durch unsere sinnliche Wahrnehmung, sondern vor allem durch unmittelbare göttliche Erleuchtung »von oben«, durch »Illumination«, erkennen. Dieses »deduktive« Denken, das für den Augustinismus kennzeichnend wurde, lenkte die Aufmerksamkeit von der empirischen auf die idealen Dimensionen und zugleich auf die eigene Innerlichkeit, den Ort der Wahrnehmung dieser Erkenntnisse. In der Krisensituation des Römischen Reiches verfasste Augustinus seine Schrift über den »Gottesstaat«, die die gesellschaftspolitischen Auffassungen der folgenden Jahrhunderte stark beeinflusst hat.
 
Prof. Dr. Karl-Heinz Ohlig
 
 
Geschichte der katholischen Kirche, herausgegeben von Josef Lenzenweger u. a. Graz u. a. 31995.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Augustinus — Augustinus,   1) Aurelius, lateinischer Kirchenlehrer des christlichen Altertums, * Tagaste (Numidien) 13. 11. 354, ✝ Hippo Regius 28. 8. 430. Sein Vater, ein kleiner Beamter, war Anhänger des spätrömischen Götterglaubens, seine Mutter, die… …   Universal-Lexikon

  • Natur und Gnade —    1. Geschichtlich. Der biblische Begriff für Gnade ist nicht abstrakt, u. ein Begriff für Natur fehlt in der Schrift. Insofern alle Aussagen der Schrift das ”Heilshandeln“ Gottes sowohl in der Schöpfung als auch in der Glaubensgeschichte… …   Neues Theologisches Wörterbuch

  • Freiheit — Unabhängigkeit; Ungebundenheit; Ungezwungenheit * * * Frei|heit [ frai̮hai̮t], die; , en: 1. a) <ohne Plural> Zustand, in dem jmd. frei von bestimmten persönlichen oder gesellschaftlichen, als Zwang oder Last empfundenen Bindungen oder… …   Universal-Lexikon

  • Freiheit —    1. Philosophisch. Grundsätzlich (was nicht heißt: in jedem konkreten Einzelfall) ist derMensch von allem anderen in seiner Umwelt dadurch unterschieden, daß der Naturzusammenhang, in dem er existiert wie alles andere, ihn im Vollzug seines… …   Neues Theologisches Wörterbuch

  • Gnade —    (althochdeutsch ”ganada“ =Wohlwollen, Gunst; griech. ”charis“, lat. ”gratia“) als theol. Begriff bezeichnet die sich aktiv, frei u. absolut ungeschuldet dem Menschen zuwendende Zuneigung Gottes sowie die Wirkung dieser Zuneigung, in der Gott… …   Neues Theologisches Wörterbuch

  • Von den Juden und ihren Lügen — Martin Luther, Portrait von Lucas Cranach d.Ä., 1529 Unterschrift Martin Luthers Martin Luther ( …   Deutsch Wikipedia

  • Von den Jüden und iren Lügen — Martin Luther, Portrait von Lucas Cranach d.Ä., 1529 Unterschrift Martin Luthers Martin Luther ( …   Deutsch Wikipedia

  • Christentum — Chris|ten|tum [ krɪstn̩tu:m], das; s: die auf Jesus Christus, sein Leben und seine Lehre gegründete Religion: sie bekennt sich zum Christentum. * * * Chris|ten|tum 〈[ krı̣s ] n.; s; unz.〉 1. relig., auf Jesus Christus zurückgeführte Lehre 2.… …   Universal-Lexikon

  • christliche Philosophie — chrịstliche Philosophie   [k ], in der weitesten Bedeutung die Philosophie, deren Gehalt durch die christliche Offenbarung und die Auseinandersetzung mit ihr geprägt ist und deren Gestalt nicht denkbar ist ohne die Veränderung, die die… …   Universal-Lexikon

  • Spätscholastik und Gnadenstreit —   Mit der katholischen Reform und dem Konzil von Trient als Reaktion auf den Protestantismus setzte eine Phase kirchlicher Stabilisierung und Konsolidierung ein. Hierbei knüpfte man inhaltlich zunächst an die Scholastik des Hochmittelalters an… …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”